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Worte machen Werte

Sprache beeinflusst unser Handeln.

So, wie wir über Menschen und Ereignisse sprechen und hören, welche Etiketten, Umschreibungen und Bezeichnungen wir ihnen geben oder ohne Widerspruch geben lassen - so gehen wir letztlich auch mit ihnen um. Worte machen Werte, sie generieren Wertschätzung oder Abwertung.

In George Orwells 1949 erschienenem Roman "1984" wird eine staatliche Sprachregelung, die "Neusprech" manifestiert: Das Kriegsministerium wird zum Ministerium für Liebe, Krieg zum Frieden, Sklaverei zur Freiheit. Die Menschen sollen nicht mal mehr an Revolution denken können - weil sie das Wort dafür vergessen haben. Das Wort "frei" darf nur in Sätzen wie "Dieser Hund ist frei von Flöhen" ausgesprochen werden - aber eine politische, gesellschaftliche oder menschenrechtliche Freiheit wird aus der Sprache, und damit aus der Realität verbannt.

Orwell war von der Über-Macht der Worte überzeugt: "Sprache korrumpiert das Denken". Mehr noch: Es beeinflusst unser Handeln. So, wie wir über Menschen und Ereignisse sprechen und hören, welche Etiketten, Umschreibungen und Bezeichnungen wir ihnen geben oder ohne Widerspruch geben lassen - so gehen wir letztlich auch mit ihnen um. Worte machen Werte, sie generieren Wert­schätzung oder Abwertung.

Krisenkommunikation, "Aber-Nazis" und Wortweichspülung

Aus brutaler Flüchtlingsabwehr wird nach der Wortwäsche durch den politisch-militärischen Verharmlosungs-Filter die "Grenzschutzagentur". Dieser Euphemismus überschreibt die rücksichtslose Brutalität, mit der mit Vertriebenen umgegangen wird. Auch aus bösartigen Streubomben, die unbewaffnete Menschen aus der Ferne töten, werden per Wortweichspülung "intelligente Wirksysteme". "Intelligent", das klingt nach sauberer Mathematik. Und nicht nach abgerissenen Gliedmaßen.

Die politisch-militärische Methode der Verharmlosung ist sicherlich eines der perfidesten "Neusprech" der heutigen Zeit, neben dem "greenwashing" - der über-betonten Behauptung von ökologisch-nachhaltiger Verantwortung - , und der "Abwiegelnden Krisenkommunikation", in der nach einem dramatischen Chemieunfall, Streik oder Krieg alles an der Sprachfront getan wird, um negative Reputation zu verhindern.

Gefährlich wird das Weichspül-Wording, wenn eine mit rassistischen Ressentiments durchwobene Haltung positiv umgefärbt wird: die sogenannte "Asylkritik", samt entsprechender "besorgter Bürger" und dem "Asylkritiker". Hinter diesen verbirgt sich eher der empathiearme Fremden­ängstliche mit rassistischem Gedankengut und oftmals ebensolchem Handeln. Doch der Begriff "… kritiker" geht so geschmeidig, so seriös ins Ohr, dass sich manche Medien und PolitikerInnen allzu gedankenlos auf dieses Camouflage-Wort gestützt haben, um ausgerechnet dort abzuwiegeln, wo aus menschlich-ethischer Haltung klare Positionen gefordert sind. Auch dem Sprachforscher Anatol Steffanowitsch fiel im österreichischen Standard.at auf, "dass Menschen, die mit rechtem Gedankengut sympathisieren, sich häufig selbst als 'Querdenker' oder 'Freigeister' bezeichnen oder stolz für sich in Anspruch nehmen 'selbst zu denken' (statt etwa der 'Lügenpresse' zu glauben)."

Zu erkennen ist der "besorgte Bürger" und "Asylkritiker" übrigens an Sätzen wie: "Das wird man doch wohl mal sagen dürfen" und "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …" Im "Aber" liegt die Wahrheit des xenophoben - wie nannte Sascha Lobo ihn: des "Aber-Nazis".

Hasstiraden setzen Handlungen in Gang

Neben den beschönigenden Euphemismen ist der Dysphemismus das häufigste rhetorische Kampfmittel, um Personen, Gruppen oder Handlungen zu diffamieren und in der öffentlichen Wahrnehmung zu diskreditieren. Wie der Begriff "Wirtschaftsflüchtling", für Menschen, die für sich und ihre Kinder keinerlei hoffnungsvolle Perspektive mehr in ihrer Heimat besitzen. Dagegen wird dem "Gutmensch" durch eine bewusst ätzend-ironische Verkehrung des Sinns "guter Mensch" ein naives, fanatisches "Gutseinwollen" unterstellt. Übrigens gern von "Aber-Nazis".

Worte machen nicht nur Werte - sondern auch Taten. Die NDR Moderatorin Anja Reschke stellte in ihrem Tagesschau-Kommentar über "dangerous speech" fest: "… aber es sind ja eben nicht nur Worte. Sondern es gibt sie ja schon - die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Hasstiraden im Internet haben ja längst gruppendynamische Prozesse ausgelöst. Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten ist gestiegen."

Mit Digi-Neusprech gegen Künstlerinnen und Künstlern im Netz

Gefährlich wird es, neben dem eigendynamischen Hetz- und Shitstorm in den Kommentarspalten von Netzwerken oder Online-Artikeln, wenn wohlklingende, emotional wirksame Begrifflichkeiten von politischen, industriellen und ideellen Interessensgruppen eingesetzt werden, um öffentliche Wahrnehmungen und Meinungen zu manipulieren. Paart sich das mit einer enormen Publikationsmacht - ob der "Bild"-Zeitung, politischer Strahlkraft oder digital hervorragend organisierten Zitierkartellen - wird Sprache zu einem (Über)Machtinstrument.

Gezieltes "Dissen" von Menschengruppen betrifft jetzt gerade besonders Vertriebene und Flüchtlinge. Aber seit Jahrzehnten auch Frauen. Und seit einigen Jahren: Künstlerinnen und Künstler.

Wir hatten uns ja schon daran gewöhnt, dass wir "Exzentriker zwischen Genie und Wahnsinn" genannt wurden, als "moralisch zügellose Lebemenschen" bezeichnet, "Tintenkleckser" oder "Schmierfinken" geschimpft, oder "arme Poeten unterm Dach", deren größte Romane eruptiv aus dem tiefsten Inneren, aus Leid, Katastrophen und natürlich: Armut entstünden. So weit so falsch, da diese Begrifflichkeiten unsere Basiskompetenzen wie Handwerk, Disziplin und strukturierte Selbstorganisation, im wahrsten Wortsinne absprechen. Aus Künstlern werden "Content"-Macher

Neu ist, dass wir nicht nur mehr brotlose Verrückte sind, deren größtes Manna der Applaus sei - sondern dass wir auch keine Kunst, Leistung oder Werke mehr erarbeiten, keine Musik, Filme oder Romane, und schon gar nicht mehr gesellschaftlich relevante Debatten aufgreifen, Menschenleben verändern oder Impulse geben, die in der feinstofflichen Ebene des menschlichen Seins wirken. Wir machen jetzt nur noch: "Content". Dieser Begriff aus der IT-Technik bedeutet "Füllung".

Digitalisierte Werke - eBooks, Musiken, Fotos, Filme - sind zur Füllung des Internets unerlässlich; ohne unsere Arbeit würde es weder Google, noch YouTube, Amazon oder Netflix geben. Da diese "Füllung" in der Herstellung jedoch sehr teuer, aufwändig und mit Arbeits- und Nutzungsrechten geschützt ist, werden wir von digitalwirtschaftlichen Interessen und aggressiven Netzaktivisten folgerichtig zur "Content-Mafia" degradiert, da wir auf fairen Umgang, Respekt und vor allem diese „lästige“ Vergütung beharren! Gern werden wir auch "Urheberrechts-Extremisten" geschimpft (Man achte auf die zutiefst beleidigende Konnotation, die sich offenbart, wenn man das Wort "Urheber" weglässt), die zu alledem auch noch gegen das "Entkriminalisieren" der öffentlichen digitalen, unbegrenzten Privatkopie sind!

Was nun dieses Wortungetüm übersetzt bedeutet? Es soll legal werden, E-Books, Songs und Filme im Netz zu klauen, und den großen Intermediären nicht weiter das Geschäft zu erschweren.

Worte machen Werte. Aus Worten werden Meinungen, aus Meinungen Umgang. Ob Euphemismen in der weltweiten Krise von Krieg und Vertreibung, ob Greenwashing in der Selbstdarstellung der Industrie, oder das gezielte Kleinmachen von Leistungen oder Personengruppen als politisches und wirtschaftliches Manipulationsinstrument: Halten wir die Ohren offen, wer uns die Dinge anders beschreiben will, als sie sind. Und erinnern uns selbst, nicht leichtfertig Begriffe zu übernehmen.

NDR Kultur | 14.09.2015 | Gastkommentar von Nina George. Schriftstellerin