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“Herzlichen Dank für die Einsendung Ihres Manuskripts. Leider müssen wir von einer Veröffentlichung absehen …”

Verlage wie Knaur, Diogenes oder Rowohlt erhalten 3000 bis 6000 unverlangt eingesandte Manuskripte pro Jahr, bei Literaturagenturen landen zwischen 700 und 2000 pro Jahr. Literaturagent Thomas Jessen schätzt, dass von 1000 etwa zwei verkaufbar sind, bei Diogenes sieht die Statistik noch schmaler aus: „Eins von 9000 in drei Jahren wird gedruckt“, so Daniel Keel. Bei den meisten Literatur-Agenturen wird etwa 1 Prozent der sich selbst bewerbenden Autorinnen und Autoren zur Vertretung angenommen, so Caterina Kirsten von copywrite.

Die wenigsten Verlage antworten auf unverlangt eingesandte Werke, einige versuchen, innerhalb von zwei Monaten zu antworten, und manche setzen ihre Lektoren nach Feierabend ein, um die durchschnittlich zehn eingesandten Bücher pro Tag zu prüfen.
Lektor Bernhard Salomon hat eine Methode entwickelt, die ihm, egal ob von Debütanten oder Profis eingesandt, relativ rasch einen ersten Eindruck vom Werk vermittelt:

Die 20-Sekunden-Manuskriptprüfung

In die erste Prüfung eines Manuskriptangebotes investiere ich zwanzig Sekunden. Wenn ein Angebot zwei der folgenden Kriterien erfüllt, lehne ich es meistens ab, ohne eine Zeile davon zu lesen.

1. Der Autor liefert ein Cover mit. (Weil er seine Kreativität an der falschen Stelle investiert und sein Manuskript anscheinend für etwas Fertiges hält, obwohl es selbst bei Annahme nur ein Anfang sein könnte.) Gleiches gilt für gelayoutete Manuskripte.

2. Der Autor erklärt, dass sein Buch schon im Selfpublishing erschienen ist und dort mit 200 verkauften Stück auch ganz schön erfolgreich war. (Weil zwar 200 Stück tatsächlich nicht schlecht sind, das Buch aber nun seine, wenn auch kleine, Chance schon hatte und offenbar nicht nutzte.)

3. Das Anschreiben enthält Smileys. (Weil Smileys in einer Branche, deren Geschäftsmodell die deutsche Sprache ist, nichts verloren haben und darauf hinweisen, dass der Autor sich in dieser Sprache nicht differenziert ausdrücken kann oder will.)

4. Der Text enthält Hervorhebungen durch Schriftschnitte, Großschreibungen, Unterstreichungen oder Schriftfarben (Weil der Autor offenbar nicht in der Lage ist, mit der Sprache allein auszukommen, und nicht bemerkt hat, dass derlei in Büchern kaum vorkommt.)

5. Das Anschreiben beginnt mit „Sehr geehrte Damen und Herren …“. (Weil der Autor das Manuskript offenbar an viele Verlage geschickt hat und nicht professionell genug war, Namen zu recherchieren.)

6. Am Anfang des Exposés steht der Satz: „Der Text beginnt mit einer Rückblende.“ (Weil der Autor nicht weiß, dass die meisten Verleger und Lektoren, ebenso wie die meisten Filmproduzenten, Rückblenden hassen.)

7. In der E-Mail oder im Exposé steht der Satz „Ich schreibe so ähnlich wie Bret Easton Ellis“ oder ein anderer Vergleich mit einem bekannten Autor. (Weil der Autor offenbar noch keinen eigenen Stil entwickelt hat.)

8. Das Manuskript oder gar das Exposé beginnt mit einem vorangestellten Zitat. (Weil der Autor damit meist versucht, sich zu überhöhen, und ich mich frage, warum er das nötig hat.)

9. Der Autor stellt nicht sofort klar, um welches Genre es sich handelt. (Weil ich vermute, dass er es selbst nicht so genau weiß und die Spielregeln eines Genres deshalb weder angewandt hat, noch sie gut genug kennt, um sie brechen zu können.)

10. Jemand schreibt oder lässt anklingen, mit welcher Euphorie er an dem Werk gearbeitet hat. (Weil Schreib-Euphorie ein Zustand ambitionierter Laien ist, der dann auftritt, wenn der Gesamtprozess noch Lücken hat. Denn Schreiben bedeutet, die eigene Kreativität mit dem eigenen Intellekt zu steuern und dabei die Leser, die Rechercheergebnisse, die Dramaturgie sowie die Erfordernisse der Sprache im Kopf zu haben, und dieser Prozess fordert so stark, dass für Euphorie kein Platz bleibt.) (BS)

DOSSIER: Unverlangt eingesandte Manuskripte – Chancen und Risiken der Guerilla-Aquise


Exposé, Zielgruppe, Anschreiben: Caterina Kirsten von der Literaturagentur copywrite über die häufigsten Fehler bei unverlangt eingesandten Manuskriptene

Aus dem Alltag eines Verlagspraktikanten zum Umgang mit unverlangt eingesandten Manuskripten – über selbstgemalte Cover, Empfehlungsschreiben von Angehörigen oder Ablehnungs-Vordrucke – und wie man es besser macht, verrät Anna Mehlhorn.

Berühmte Werke, die zuvor mehrfach abgelehnt wurden:
Heinrich Böll: Der Engel schwieg
Erich Maria Remarque: Der Funke Leben
Robert Schneider: Schlafes Bruder
Mehr abgelehnte spätere Erfolge großer Autorinnen und Autoren auf dem Blog „hyperwriting“ von Jürgen vom Scheidte

Rat und Tipps für Debütautorinnen und Autoren von Profis des Montsegur Autorenforums zur Aquise

—> Senden Sie weder komplette Manuskripte ein noch auf Gut Glück an die Verlagshausadresse, sondern an den Lektoren oder die Lektorin, die das jeweilige programm betreut, zu dem Ihr Buch passen könnte. Informieren Sie sich immer vorher über das Programm eines Verlages und recherchieren, ob der Verlag Form- oder andere Vorgaben für den Einsand von Manuskripten auf seiner Webseite aufführt. Meist sind Exposé und Leseprobe mit 5 Kapiteln ausreichend. Bewerben Sie sich im zweifel bei einer seriösen Literaturagentur; 80 % der Belletristik werden in Deutschland nur über AgentInnen vermittelt.

Die 20-Sekunden-Manuskriptprüfung erschien am 7. September 2015 auf schriftblog.com und zog lebhafte Debatten nach sich.
Fairer Buchmarkt bedankt sich für die Erlaubnis zur Zweitverwertung bei den Autoren.



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  • Auf schriftblog.com erzählen der Verleger Bernhard Salomon und die Lektorin Gudrun Angerer aus dem Verlagsalltag und der Buchbranche, geben Schreib- und Verkaufstipps aus der Praxis und lassen ebenfalls Autorinnen und Autoren zu Wort kommen. Wer wissen will, warum Helden selten Hans oder Schulz heißen oder Überraschungen nie plötzlich kommen sollten:

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