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"Ehrenamt? Fulltimejob."    

Am 5.12. war Tag des Ehrenamtes.
Habe ich verpasst, da ehrenamtlich (sechs Stunden) tätig gewesen, ausnahmsweise nicht politisch, sondern für die Vorbereitung einer langen Abend-Moderation mit großartigen Autoren und Autorinnen.

2016 summierte sich der Job ohne Gehalt im politischen Bereich auf konstante 50 % meiner Arbeitszeit, in Hochzeiten pro Tag 80 %. Dazu gehört u.a. Recherche, um Statements über Verwertungsgesellschaftengesetze oder Urhebervertragsrecht schreiben zu können, um sich auf Versammlungen vorzubereiten, bei denen es um Satzungsänderungen, Aufbau von Netzwerken, die EU-Digitalpolitik oder Beratung von Autorinnen zum Thema Honorare, Agenturen und KSK geht, oder sich zu beraten mit denen, die sich auskennen in all den abertausend Ecken der Branche, die mir noch nicht vertraut sind; um Panels, Podien, Symposien nachzubereiten und andere auf dem Laufenden zu halten, was da los war und wozu das Ganze überhaupt.

Es heißt auch, die Nase aus dem Fenster zu halten in dem Wissen, was auf dieselbige zu bekommen. Es heißt auch, oft gegen andere anzutreten, die von ihren Institutionen und Unternehmen bezahlt wurden. Es heißt auch, auf Facebook in Dispute verwickelt zu werden und in viel zu kleinen Kommentaren zu versuchen, einen komplexen Zusammenhang so zu verdichten, dass es verständlich ist. Da scheitere ich sicher am häufigsten: ich bin keine für Headlines und Vereinfachung.

Dazu gehört auch, immer wieder ein bis zwei Reisetage zu verbrennen, um für Panels oder Benefizlesungen oder Präsidiumssitzungen oder Verwaltungsratsvorbesprechungen durch die Gegend zu gurken und in der Bahn oder in der Luft dann nicht für Geld zu arbeiten, sondern die ebenso ehrenamtlich betreuten Facebookseiten mit Artikeln zu bestücken oder Fragen von Kollegen und Kolleginnen zu beantworten, Artikel für Webseiten vorzubereiten oder Anfragen nach Interviews, nach Quotes für andere Institutionen. Manchmal sichte ich für andere Verträge oder bilde AGs, und wer eine AG bildet, braucht kein Hobby mehr und ist im Prinzip ständig zu spät dran und ein einziges Nadelöhr.

Diese Interviews und Quotes ziehen mitunter nette Leserbriefe nach sich, die beantwortet werden wollen, und mitunter auch viele garstige Kommentatoren, aber erstaunlicherweise gewöhnt man sich daran, es entsteht eine Hornhaut gegenüber Kommentatoren, die Zusammenhänge so lange missverstehen wollen, bis sie sich aufregen können. Und mein Anwalt bekommt so auch dann und wann etwas zu tun.

Dazu gehört auch, etwas zu erreichen. Runde Tische bei Monika Grütters. Keynotes im Bundeskanzleramt. Beratungsgespräche auf politischen Ebenen im Bundestag, die zuhören wollen. Unfassbar viel Vergnügen, wenn ich auf Gleichbekloppte treffe, die ebenfalls die Hälfte oder mehr ihrer Lebenszeit damit verfeuern, sich in die Bütt zu werfen für das eigene Recht und das anständige Überleben der gesamten Zunft. Lebhafte Debatten mit Geistern, die, selbst wenn wir anderer Meinung sind, dies so rhetorisch unverkniffen vertreten, dass sich selbst mit Meinungsrivalen die anregendsten Abende verbringen lassen.

Dankbarkeit, wenn ich Menschen finde, die erst zu Mitstreiterinnen, dann zu Freundinnen werden. Gefährten. Und die genau wissen, worüber wir gackern, wenn wir die Story von Ansips Gattin und ihrer Lieblingssoap und das mit dem Geoblocking …

Verzweiflung. O so große Verzweiflung. Wenn ich etwas im Mainstream und der Öffentlichkeit ankommen sehe, ob über vertrauensvolle oder lobbyierte Medien, und die Hintergründe und Faktenlage aber nicht gerecht, ausreichend oder komplett präsentiert wird. Wenn ich dann sehe, wie sich Gruppen zerfleischen, angreifen, instrumentalisieren. Und dann einfach loslassen muss, weil auch das dazu gehört. Zwangs-Aufklärung ist mitunter auch Patronisierung. Ich will das nicht. Ich habe meine Haltungen, und diese schwer und diszipliniert erarbeitet, mit Recherche und Debatten, Selbstkritik und auch Vertrauen in mich. Ich muss sie anderen aber nicht aufzwingen. Das zu lernen: schwieriger als den Ocho Cortado zu führen.

Überhaupt, die Rhetorik: was ich an jenen streitbaren Geistern der Politik mag ist, dass die Debatten fokussiert, knüppelhart, gewieft – aber selten aggressiv oder mit dieser emotional unterfütterten Hass-bereitschaft ablaufen, wie es oft im digitalen Bereich geschieht.

Polemik hat auch im analogen eine andere Beigabe: als rhetorisches Mittel, nicht als Tarnung für Faktenlosigkeit.

Dazu gehört auch, zu scheitern. Es auf Podien mit gelegentlichen, zwar seltenen, aber sicher existierenden, Bloßstellern zu tun zu haben. Mit Mensplaining, o ja. Mit Leuten, die die Redezeit ohne zu atmen von drei Minuten auf 45 ausweiten und vom gelangweilten Moderator nicht geblockt werden.

Mit gewieften alten Lobby-Veteranen, die die Schwachstellen riechen und darauf süffisant zielen – und treffen. Dafür Bewunderung von anderen erhalten, und die Getroffenen spöttisches Mitleid.

Mit Abgeordneten, die auf Einspruch und wahre Argumente mit kopttäschelnder Ignoranz reagieren und mich fühlen lassen wie eine Närrin mit Klimperkappe. Mit Leuten, denen Hierarchien wichtiger sind als die Sache. Mit anderen, die einen instrumentalisieren, vorschicken. Mit Saugern, die ihre Sätze anfangen mit: "Ich weiß, du hast viel zu tun, ABER ich will/brauche/muss haben …".

Mit Situationen, die mich vollkommen überfordern. Den Sommer über habe ich durchgeweint, ich hatte keine Hornhaut für das, was in der Türkei geschieht, nichts, nur die Angst des Mädchens, dass sich fürchtet vor Menschen, die es genießen, andere auszulöschen.

Dazu gehört auch Müdigkeit. Und Schlaflosigkeit. Dazu gehört, mehr Kneipen in Brüssel zu kennen als in Berlin, und alle DB-Lounges. Dazu gehört, sich mitunter seltsam neben der Zeit zu fühlen. Dazu gehört, auf Panels so oft Quotenfrau zu sein, dass ich nie auf dem WC warten muss. Dazu gehört, dass mein Französisch zumindest reicht, um über wesentliche Dinge zu parlieren: Das Essen und die Autorenrechte.
Dazu gehört, fliehen zu wollen. An einen Ort, wo ich niemand bin.

Dazu gehört, Geld auf den Tisch zu legen, weil kein Verein einen Etat für Lobbyisten hat und Google sich hüten wird, mich bestechen zu wollen. Ich sponsere mich selbst, danke an das Lavendelzimmer.

Dazu gehört auch, von jetzt auf gleich cholerische Tobsuchtsanfälle zu bekommen, wenn jemand sagt: "Danke!" – weil sich manchmal das Danke so anhört, als ob der jenige froh sei, dass er oder sie das nicht machen muss, weil ich eben der Depp vom Dienst bin. Oder die Deppin. Wenn ich solche Wutanfälle wegen eines ehrlich gemeinten "Danke" kriege weiß ich, dass ich mal wieder Tangotanzen sollte, schlafen, lesen oder mich heraus nehmen aus allem. Oder mir überlegen, ob ich noch will, was ich tue.

Oft weiß ich das nicht. Will ich noch das, was ich tue?
Ich tue, was ich will, aber oft tue ich es, weil ich denke, ich muss.
Muss ich? Will ich?
Ich lebe in die Antworten hinein.

Ehrenamt, das heißt für mich, mich während des Tuns entschieden zu haben, neben einem Geldberuf einen zweiten Beruf auszuüben. Wie einen bezahlten. Er bringt mir eindeutig mehr Kummer ein als der bezahlte. Er ist der rationale Teil meiner Existenz, während das Schreiben das emotionale ist.

Ich kann es nicht lassen, zu groß ist die Sorge, dass ich mir damit selbst ein Bein stelle: wenn ich heute nicht agiere, dann wird das Schreiben und Veröffentlichen in 20, 30 Jahren ein anderes sein, eines, das mir nicht gefallen wird, dass mich einengen wird und schlechter und noch unberechenbar bezahlt.

Und, außerdem: Wenn ich einmal meinen letzten Tag habe, dann will ich mir verflucht noch mal nicht vorwerfen, es nicht wenigstens probiert zu haben.
Ich mache das jetzt fünf Jahre. Ein paar hänge ich noch dran.
Ehrenamt.
Sollte man mal im Leben gemacht haben.
Es führt an die eigenen Grenzen, es zeigt einem den inneren Kern, die innere Widersprüchlichkeit, die Fähigkeit zu lieben und zu wüten, den man sonst selten so klar zu sehen bekommt.

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Nina George
AUTORIN