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Jugendschutz und E-Books

„Wie versteckt man ein erotisches E-Book unterm Ladentisch, Marco Erler?“

Ein Online-Händler wurde verklagt, ein pornografisches E-Book anzubieten. Daraufhin geisterten Halbwahrheiten wie: „E-Books nur nach 22 Uhr verkäuflich“ durchs empörungsbereite Netz. Dabei ist seit 2003 ist im Jugendmedien-Staatsvertrag (JMStV) festgelegt, wie mit Telemedien umgegangen wird.

E-Books fallen – anders als gedruckte Bücher – unter das Telemediengesetz und müssen anderen Jugendschutz-Bedingungen entsprechen. Doch welche sind dies? Und wie soll das gehen – tatsächlich erotische E-Books nur nach 22 Uhr anbieten, in geschlossenen Shop-Systemen oder als Bückware unterm Amazon-Tresen?



„Wie versteckt man ein erotisches E-Book unterm Ladentisch, Marco Erler?“


Fairer Buchmarkt sprach mit dem Dozenten und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Marco Erler aus Köln, wie Verlage, Autorinnen, Shopbetreiber und auch Selfpublisher mit Jugendschutz bei E-Books umgehen müssen.

FairerBuchmarkt: Ein E-Book ist ein Buch – oder doch nicht? Wenn es um Texte mit erotischem Inhalt geht, macht der Gesetzgeber, von der Verlagsindustrie unbemerkt oder wahlweise ignoriert, seit vielen Jahren einen Unterschied zwischen gedruckten Büchern und elektronischen. Worin liegt der?

 

Marco Erler: Das fängt schon damit an, dass sich die wesentlichen Verhaltensregeln für gedruckte Bücher und E-Books (permanent oder temporär abrufbare Online-Bücher) aus unterschiedlichen Gesetzen ergeben. Während das gedruckte Buch nur den „milden“ Vorgaben des Jugendschutzgesetzes entsprechen muss, fällt ein E-Book nach überwiegender Ansicht unter den Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV). Nach beiden Gesetzen sind Indizierungen und schwer jugendgefährdende Inhalte problematisch. Soweit ist noch alles gleich.
Aber: Texte, die unterhalb dieser Schwellen lediglich die Gefahr der Entwicklungsbeeinträchtigung* für bestimmte Altersgruppen (z.B. durch Erotik, "einfache" Gewalt etc.) aufweisen, sind nur als E-Book problematisch! Das Jugendschutzgesetz sieht im Falle entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte für gedruckte Bücher keine Restriktionen vor. Damit kann das gedruckte Buch frei im Handel verkauft werden, während der Vertrieb des inhaltsgleichen, „entwicklungsbeeinträchtigenden“ E-Books mit bis zu € 500.000,00 sanktioniert werden kann. Die gesetzlichen Regelungen führen also zu nicht nachvollziehbaren Wertungswidersprüchen. Unter dem Stichwort der Medienkonvergenz ist es am Gesetzgeber, diesen Zustand zu ändern.

* Redaktioneller Kommentar:Es gibt Inhalte, die nach § 5 JMStV möglicherweise die Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen beeinträchtigen. Dazu gehören Darstellungen von Gewalt oder Sexualität in Telemedien, die Kindern oder Jugendlichen falsche Vorbilder und Wertvorstellungen vermitteln, sie ängstigen oder überfordern – was abhängig von ihrem Alter und ihrer Entwicklung ist. Für diese entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte gelten weniger scharfe Regeln als für unzulässige Inhalte. Nach § 5 Abs. 1 JMStV liegt es in der Verantwortung der Anbieter von Telemedien, also auch von E-Books, einzuschätzen, ob die Inhalte für Kinder bzw. Jugendliche einer bestimmten Altersstufe entwicklungsbeeinträchtigend sind. Sollte dies der Fall sein, muss die anbietende Website ebenso wie der über sie zugängliche beanstandenswerte Inhalt so gestaltet sein, dass die betroffene Altersstufe die problematischen Angebote üblicherweise nicht wahrnimmt.

FairerBuchmarkt: Dass Kinder und Jugendliche durch Wirkung und Nutzung von Medien in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, gefährdet oder in Einzelfällen gestört werden können, wird selten in Frage gestellt. Dafür gibt es im Internet Abstufungen wie etwa „Absolut verboten“, „relativ verboten“ oder „entwicklungsbeeinträchtigend“.
Was bedeutet das für E-Books mit erotischem Inhalt konkret – wäre 50 Shades of Grey zum Beispiel ein Fall für die Bückware?

 

Marco Erler: Eine Bewertung des Buches „50 Shades of Grey“ ist mir nicht möglich, da ich es nicht gelesen habe und damit nicht in meine Antwort einbeziehen kann.
Allgemein gilt Folgendes:
Harte Pornographie darf nach § 4 Abs. 1 JMStV (Katalog mit Absolutverboten) in keinem Fall angeboten werden. Gemäß § 4 Abs. 2 JMStV (Relativverbote) darf einfache Pornografie Erwachsenen nur über geschlossene Benutzergruppen im Internet zugänglich gemacht werden. Unter der Schwelle des § 4 JMStV liegen die entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte im Sinne des § 5 JMStV (z.B. Erotik,"einfache" Gewalt etc.), deren Wahrnehmung für Minderjährige je nach Altersstufe erschwert werden muss.

Wenn in einem Buch beispielhaft intensiv Sexualpraktiken propagiert und dargestellt werden, so dürfte es Altersstufen geben, denen der Zugang zu diesen Inhalten im Sinne des § 5 JMStV zu erschweren ist. Die Darstellungen könnten theoretisch sogar als pornographisches Werk einzustufen sein. Wie bereits ausgeführt, darf einfache Pornographie nur in einer geschlossenen Benutzergruppe angeboten werden.
Sollten diese Sexualpraktiken im E-Book z.B. für unter 16jährige (nur) entwicklungsbeeinträchtigend sein, so muss der Anbieter des E-Books zum Schutze der unter 16jährigen Maßnahmen ergreifen, die nach § 5 JMStV unter Berücksichtigung der Alters vorgesehen sind. Dies können u.a. Altersverifikationssysteme (geschlossene Benutzergruppen) oder Sendezeitbeschränkungen (E-Book-Angebot ab 22 Uhr bis 6 Uhr) sein.
Diese Maßnahmen sind aber nicht (wirtschaftlich) praktikabel und auch nicht zwingend. Weder wird der erwachsene E-Book-Käufer die Mühen eines Postident-Verfahrens zwecks Alters- und Identitätsnachweises durchlaufen, noch wird er sich vorschreiben lassen, zu welcher Nachtzeit er ein E-Book kaufen darf.
Er wird in beiden Fällen eher auf ausländische Angebote ohne Restriktionen zugreifen, wodurch weder dem Jugendschutz noch dem Anbieter gedient ist.
Es bleibt als sinnvolle Lösung die Programmierung für ein anerkanntes Jugendschutzprogramms. Der Anbieter der eBooks muss sich hierbei Gedanken über die Alterseinstufung seines Angebots machen. Unterschiedliche Alterseinstufungen für einzelne Webseiten sind möglich. Nach Festlegung des Alters wird auf dem Server eine entsprechende Altersdatei für das Angebot (age-de.xml) abgelegt. Der Nutzer des Angebots sieht diese Alterseinstufung nicht. Die Eltern haben aber über ein Jugendschutzprogramm die Möglichkeit, die Altersdatei automatisch auszulesen und den Zugang zu diesem Angebot zu verhindern. Das Programm wird nämlich solche Seiten blocken, die die Eltern unter Berücksichtigung des Alters ausgeschlossen haben. Der Vertrieb der eBooks kann also trotz Jugendschutzprogramms uneingeschränkt erfolgen. Nur der unter 16jährige wird das Angebot ggf. nicht wahrnehmen können.

FairerBuchmarkt: Wie versteckt man ein E-Book unterm Ladentisch? Auf was müssen Verlage, Shopbetreiber oder Selfpublisher achten – ein simples „Ab 18“ reicht offenbar nicht.

 

Marco Erler: Im Internet gilt für die „Bückware“ nichts anderes als im Offline-Bereich. Indizierte Inhalte, die (nur) Erwachsene konsumieren dürfen, sind Minderjährigen vorzuenthalten. Die indizierten Inhalte gehen über die Schwelle bloßer Entwicklungsbeeinträchtigung hinaus.
Der „Verkauf unter dem Ladentisch“ wäre hier die Zugänglichmachung des E-Books über eine geschlossene Benutzergruppe, auf die Erwachsene nur nach Überprüfung ihres Alters (z.B. über Postident) und Eingabe eines Passworts Zugriff haben dürfen (Altersverifikationssystem). Dies betrifft aber nicht nur (bestimmte) indizierte Inhalte, sondern auch einfache Pornografie und sonstige schwer jugendgefährdende Inhalte (z.B. Verherrlichung des Drogenkonsums). In diesen Fällen reicht weder ein Jugendschutzprogramm noch eine Sendezeitbeschränkung; es bedarf eines Altersverifikationssystems.

FairerBuchmarkt: Was wäre wünschenswert für Autoren, für Shopbetreiber und für die Buchwirtschaft?

 

Marco Erler: Jugendschutz ist im (Online-)Buchwesen trotz der Wertungswidersprüche zu beachten. Autoren sollten die nötige Sensibilisierung bei der Erstellung des Werkes einfließen lassen und Buchverlage sowie Shopbetreiber die gesetzlichen Regelungen befolgen. Über Jugendschutzprogramme und einen Jugendschutzbeauftragten (Berufungspflicht gemäß § 7 JMStV) muss sich die Buchindustrie aktuell Gedanken machen.
Wenn ein E-Book pornografisch ist, ist hierfür eine geschlossene Benutzergruppe einzurichten, da das Jugendschutzprogramm nicht (mehr) ausreichend ist. Hierneben ist der Gesetzgeber aufgerufen, für einen Gleichlauf der Medien und die damit einhergehende Medienkonvergenz zu sorgen. Dies mag aufgrund der unterschiedlichen Bundes- und Länderkompetenzen bei der Gesetzgebung zwar vordergründig problematisch sein. Der aktuelle Zustand ist aber untragbar, da gedruckte Bücher und E-Books unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben zu entsprechen haben, was gerade im Falle identischer Inhalte unhaltbar ist. Dies führt zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit.

Es bleibt abzuwarten, ob die aktuell geplante Änderung des JMStV diesem Wunsch Rechnung tragen wird. Hierneben sind die Aufsichtsbehörden gehalten, die Besonderheiten des geschriebenen Wortes im Gegensatz zu Bewegtbildern bei der Bewertung von E-Books zu beachten. Texte sprechen die Vorstellungskraft des Lesers und seine Erfahrungen an. Fehlt es an Erfahrungen, so werden die Worte beim Leser gerade keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Kinder werden also in bestimmten Fällen nicht den erforderlichen Erfahrungshorizont haben, um die Brisanz des Wortes zu verstehen. Anders ist dies bei Bewegtbildern, die beim Leser keine Vorstellungskraft voraussetzen, sondern diese vielmehr ersetzen und damit gerade bei Kindern einen nachteilhaften und nachhaltigen Wirkungsgrad entfalten können. Neben der Besonderheit des geschriebenen Wortes ergibt sich ein geringer Wirkungsgrad auch aus anderen Umständen. Im Bereich der Erotik bedarf es einer genauen Bewertung eines Buches, ob dieses pornografisch oder lediglich erotisch ist. Hierbei wird insbesondere der Gesamtkontext des Buches zu beachten sein. Eine – wenn auch intensive – Sexszene, die nur einen Teil einer Handlung umfasst und nur wenige Seiten einnimmt, wird das Buch kaum zu einem Porno-Werk machen. Anders mag dies sein, wenn nur diese Sexszene z.B. als Leseprobe veröffentlicht wird.