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„Wenn der Wein wie Kuhpisse schmeckt, ...

... hilft auch das beste Marketing nicht weiter.“

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Selfpublisher professionalisiert. Doch dabei wurde das rein Handwerkliche oft vernachlässigt, meint der freie Lektor Hans Peter Roentgen im Interview.

Eine der größten Hürden für Selfpublisher im Buchhandel ist die Annahme der Sortimenter, dass die Qualität der Bücher, inhaltlich und formal, oft unzureichend ist. Teilen Sie die Einschätzung?
Jein. Es gibt hervorragende Selfpublishing-Bücher, aber eben auch furchtbar schlechte, bei denen dem Leser schon auf der ersten Seite die Lust vergeht, weiter zu lesen. Dazwischen gibt es sämtliche Abstufungen.

Was sind die größtem Versäumnisse von Selfpublishern aus Ihrer Lektoren-Sicht?
Das größte Problem ist die Fixierung aufs Marketing. Da wird viel diskutiert, wie, wann, wo und zu welchem Preis das Buch am besten präsentiert werden soll und mancher glaubt, dass Marketing allein den Erfolg oder Misserfolg eines Buches bestimmt.
Dass es auch ein Handwerk gibt, das von der Rechtschreibung über Stil bis zur Dramaturgie reicht, das man kennen sollte, wird gerne vergessen. Dabei entscheidet das Wie oft darüber, ob Leser eine Geschichte überhaupt lesen wollen oder gar weiterempfehlen. Wenn der Wein wie Kuhpisse schmeckt, hilft auch das beste Marketing nicht weiter.
Und dafür gibt es eben Lektorinnen und Lektoren, die einen unabhängigen Blick auf ein Manuskript werfen und den Autoren empfehlen können, was man ändern könnte, wo es Probleme gibt.
Zur Ehrenrettung der Selfpublisher sei aber gesagt, dass das früher noch viel schlimmer war. Vor den Zeiten des Selfpublishings wurde endlos darüber diskutiert, wie man einen Verlag findet, welche Tricks man beachten solle, etc. pp. Die Frage, wie schreibe ich spannend und überhaupt das ganze Handwerk wurde da noch mehr übersehen.
Da richten in Deutschland die vielen Berichte über die Shooting Stars, die über Nacht zum Erfolg kamen, viel Unheil an. Die Bestsellerautorin Nina George hat das richtig gesagt: Man braucht viele Jahre um über Nacht berühmt zu werden.

In den vergangenen Jahren ist die Professionalisierung der Selfpublisher gestiegen. Spüren sie und Ihre Kollegen dies durch eine steigende Nachfrage?
Ja, auf jeden Fall. Die Selfpublisher professionalisieren sich immer mehr, die meisten Erfolgreichen haben heute alle ihre Lektoren.

Was gehört zum Service eines Lektors?
Was zum Service gehört, hängt vom Auftrag ab. Jeder Selfpublisher (und auch jeder andere Autor) muss sich überlegen: Was will ich vom Lektorat?
Oft glauben Autoren, Lektoren würden nur Rechtschreibung und Grammatik korrigieren. Das ist aber nur das Korrektorat.
Ein Lektorat kann den Plot bearbeiten, die Figuren, man kann das Konzept bearbeiten, man kann den Stil lektorieren. Das hängt von dem Stand des Projekts ab.
Beim klassischen Lektorat geht es darum, ein Buch veröffentlichungsreif zu machen. Aber manchmal will ein Autor wissen: Wo stehe ich eigentlich, was sind meine Stärken, meine Schwächen, woran muss ich arbeiten? Dann steht nicht das Buch im Mittelpunkt, sondern der Autor und wir begeben uns auf das Gebiet des Autorencoachings.

Was müssen Selfpublisher für das Lektorat eines, sagen wir, 200-seitigen Romans bezahlen?
Die Frage kann ich so leicht beantworten, wie die Frage: Was kostet die Reparatur eines Autos? Das hängt vom Zustand des Autos, bzw. des Romans ab und davon, was der Autor bearbeitet haben will. Feinpolitur, also Rechtschreibung, Grammatik, Stil? Plot und Konzept? Diskussion des Projekts als Ganzem?
Eine Faustregel lautet: Ein Lektor kann bestenfalls 8-10 Normseiten (ca 1500 Anschläge) pro Stunde bearbeiten. Je nach Zustand des Manuskripts können es auch deutlich weniger sein. Als Freiberufler muss er natürlich Steuern, Miete und vieles mehr zahlen. Mit einem Euro pro Normseite geht das nicht.
Meist muss man auch mehrfach durch das Manuskript gehen. Erst mal den Plot und die Personen bearbeiten, wenn die passen, den Stil. Dann die Rechtschreibung und Grammatik. Das passiert im Verlag auch nicht anders, wird aber gerne vergessen. Da kommen schnell vierstellige Summen zusammen.
70% vom Erlös im Selfpublishing klingt gut gegenüber 7-10% bei Verlagsveröffentlichung. Aber will man wirklich professionell Selfpublishing betreiben, sollte man eben auch eine entsprechende Summe fürs Lektorat einkalkulieren.

Welche Zukunft hat Selfpublishing? Wächst der Bereich stärker in Richtung hybrides Publizieren?
Das hybride Publizieren ist bereits weit verbreitet. Verlagsautoren veröffentlichen ihre Backlist als Selfpublisher oder wechseln ganz dorthin. Selfpublisher veröffentlichen ihre Bücher bei Verlagen. Das wird ganz sicher weiter wachsen und Selfpublishing wird sich immer mehr als eine ganz normale Alternative auf dem Buchmarkt etablieren.
Und ich glaube auch, dass immer mehr Selfpublishern klar werden wird, wie wichtig Überarbeitung und Lektorat sind. Dass Handwerk eben auch zum Schreiben gehört. Wer professionell Fußball spielen will, muss jahrelang trainieren, sollte die Abseitsregel kennen und mit Trainern zusammenarbeiten. Beim Schreiben ist es auch nicht anders.